„Sehr zufrieden“ zeigte sich am Samstagmittag Christian Fuchs. Er hatte einen Notfalleinsatz am Süßener Bahnhof geleitet und war von Anfang an von der perfekten Zusammenarbeit der verschiedenen Hilfsorganisationen aus dem Landkreis beeindruckt. Denn bei einer der größten Übungen im Landkreis waren nicht nur die Rettungsdienste gefragt. Auch die Feuerwehren, der Gefahrgutzug des Landkreises und das Technische Hilfswerk waren vor Ort.
Das angenommene Szenario: Ein Klein-Laster war mit einer Rangierlok im Süßener Bahnhof kollidiert. Schnell entsteht der Verdacht, dass es sich um einen Gefahrguttransport handelt, weil eine unbekannte Flüssigkeit austritt. Ein Personenzug kann zwar noch rechtzeitig halten. Mehrere Fahrgäste werden aber durch das heftige Bremsmanöver verletzt. Es sind über 80 Komparsen aus ganz Baden-Württemberg im Alter von sechs Monaten bis 76 Jahren, die zunächst von der DRK-Fachgruppe Notfalldarstellung unter der Leitung von Dietmar Epple entsprechend geschminkt wurden und die jeweils Rollen zugewiesen bekamen. So war die Reservistenkameradschaft Staufen auf dem Weg zu einer Übung nach Füssen und machten entsprechend Druck, mit dem die Einsatzkräfte zurechtkommen mussten. Eine (tatsächlich) Hochschwangere war unter den Fahrgästen und Anja Wiesenfahrt war mit ihren beiden Hunden unter den Komparsen. „Verteilt euch auf den Zug, das ist jetzt Eure Spielwiese“, weist Dietmar Epple die Gruppe an und wird dann später auch das Kommando zum Start des Szenarios geben. „Dies ist ein realer Fahrgastmix“, sagt Christian Fuchs. Und deshalb hatte Dietmar Epple unterschiedliche Rollen verteilt. „Eine Schulklasse will unbedingt ihren Ausflug machen, wir haben jemand dabei, der Fotos von den Verletzten macht und sie ins Internet stellt und die unverletzten Fahrgäste wollen nicht einsehen, dass sie bis zum Schluss bleiben müssen“.
Während der Zugbetrieb ganz normal weitergeht und immer wieder Züge den Bahnhof Süßen passieren, geht der Alarm los. „10.33 Uhr, das Ereignis beginnt“, stellt Christian Fuchs fest. Nur wenige Minuten später trifft ein erstes Feuerwehrauto ein und dann geht es Schlag auf Schlag – zahlreiche weitere Fahrzeuge folgen. Eine Verletzte, die unter dem Waggon mit dem unbekannten Gefahrgut liegt, schreit vor Schmerzen, im Personenzug schreien die Menschen und hämmern gegen die Scheiben. Der leitende Notarzt verschafft sich einen Überblick. Durch den Unfall war ein Mast umgeknickt und auf einen PKW gestürzt, der Fahrer ist ansprechbar. Die Feuerwehr muss aber das Auto aufschneiden, damit er versorgt werden kann. Verletzte werden nummeriert und erhalten eine Verletztenanhängekarte. „Haben wir jemand, der den Zug öffnen kann“, will eine Einsatzkraft wissen und schon öffnen sich die Türen und die ersten Unverletzten wollen den Zug verlassen. Auch sie müssen sich registrieren lassen und nun stellen die Komparsen realistische Situationen nach. Da wird gemeckert und gemotzt, viele haben Termine und wollen weiter, müssen aber ausharren. Das Ende des Einsatzes müssen sie in der Realschule abwarten.
Zwischenzeitlich ist die Frau, die mit Säure verätzt wurde, zu einem der Verbandsplätze gebracht und versorgt worden. Sie wartet auf den Transport in die Klinik. Im Personenzug befinden sich noch immer Verletzte. „Hilfe!“, ruft eine Frau, „wir haben hier eine Schwangere, die auf den Bauch gefallen ist“. Auch sie wird schließlich versorgt. Allerdings ist ihre Fruchtblase geplatzt, was die Helfer vor eine weitere Herausforderung stellt. Eine Herausforderung stellt auch der Komparse „Rechtsanwalt Besserwisser“ dar, der alle Hilfskräfte verklagen will, weil sie seiner Ansicht nach dilettantisch arbeiten. An einer anderen Stelle des Einsatzortes sammelt Achim Esslinger das Team der Notfallseelsorger um sich. Sie verteilen sich an der gesamten Einsatzstelle.
Dann wird gemeldet, dass der Zug leer ist, dass alle verletzten Passagiere bei den Verbandsplätzen versorgt werden, nun muss der Transport der Verletzten in die Kliniken der Umgebung organisiert werden. Auch dies geschieht ohne Hektik, zügig, aber ruhig. Niemand schreit, niemand rennt, jeder der Einsatzkräfte weiß bis zum Schluss des Einsatzes, wo seine Aufgaben sind, was zu tun ist. „Diese Übung bot den Rettungsdiensten die Möglichkeit, auf verschiedene Gefahrensituationen zu reagieren“, stellt der DB-Notfallmanager Christian Fuchs abschließend fest.
Besonders aufmerksam hatte Bernd Hamann vom DRK-Ortsverein Geislingen die Übung beobachtet. „Wir sind zukünftig für die Neubaustrecke im oberen Filstal zuständig. Diese Übung ist für unsere Einsatzkräfte sehr wichtig“, betonte er.
Für den Kreisbereitschaftsleiter Raimund Matosic, der die Übung aufmerksam verfolgte, ist die Nachbereitung entscheidend. „Es ist unsere Hauptaufgabe, zu analysieren, wo die Stärken und wo Schwächen lagen und dann unsere Einsatzkräfte entsprechend zu schulen“, betonte er. Beeindruckt von der Professionalität war auch der Notarzt Dr. Sven Augenschein. „Es gab bislang im Landkreis keine Übung an einem Bahngleis“. Und: „Es lief optimal. Die ersten 15 Minuten so eines Einsatzes sind entscheiden. Wenn sie nicht gut organisiert sind, versinkt die Unfallstelle im Chaos.“
Info:
An der Übung waren rund 300 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Deutschem Roten Kreuz, Malteser Hilfsdienst, Arbeiter-Samariter-Bund, Notärzten, Notfallseelsorge und Polizei mit über 50 Einsatzfahrzeugen beteiligt.
Von Seiten des DRK war Tobias Neugebauer als Führungskraft vom Dienst, die Bereitschaften Schlierbach, Schurwald, Böhmenkirch, Eislingen und Hattenhofen, das Kreisauskunftsbüro die Schnelleinsatzgruppen Göppingen, Hattenhofen und Geislingen mit insgesamt 65 ehrenamtlichen Einsatzkräften vor Ort. Sie waren von 16 hauptamtlichen Mitarbeitenden des Rettungsdienstes unterstützt worden.