Charlotte Gutknecht ist bestimmt eine nette Frau. Im Moment nehme ich aber nicht mehr von ihr wahr, als die riesige Nadel in ihrer Hand. Gleich wird mir die DRK-Mitarbeiterin das Ding in den Arm jagen. In meiner Vorstellung wird die Nadel immer größer, die Spitze glitzert bedrohlich im Licht der Jahnhalle.
Ich soll Blut spenden und darüber schreiben – was für eine blöde Idee, denke ich! Mein Herz klopft heftig, meine Hände sind schweißnass. Am liebsten würde ich wegrennen, aber die Chance habe ich verpasst: Längst bin ich im System erfasst, habe den Anmeldebogen ausgefüllt, mich durchchecken und zur Messung des Hämoglobinwertes, des Blutfarbstoffs, in den Finger pieksen lassen. Niemand wird zur Blutspende gezwungen, aber mich jetzt zu drücken, das verbietet mein Stolz. Ich schließe die Augen, atme tief durch und starre an die Decke. Bloß nicht zugucken, wie sich die Nadel durch die Haut bohrt.
Ich spüre einen kleinen Stich. War’s das etwa schon? Ich wage einen Blick: Ja, die Nadel steckt, das Blut fließt. „Tapfer! Nicht mal zurückgezogen“, sagt Charlotte Gutknecht. Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Puh, die erste Hürde ist geschafft. Ich spende Blut. Und lebe noch! Jetzt bemerke ich auch: Die Frau ist wirklich nett.
Die Menschen auf den Liegen um mich herum wirken alle total entspannt. Wieso ich mich so anstelle, hat mit dem 11. Dezember 2001 zu tun: Damals habe ich zum ersten – und bis dato einzigen – Mal Blut gespendet. Die Aktion: ein Fiasko. Noch auf der Liege wurde mir schlecht, drei Rotkreuzmitarbeiter betüddelten mich freundlich, aber etwas ratlos, bis meine Familie mich abholen kam. Alleine schaffte ich es nicht nach Hause. Mein Fazit: Blutspenden? Nie wieder!
Dass ich mich doch nochmal traue, liegt an meinem schlechten Gewissen. Ich bin gesund, mein halber Liter Blut kann einem anderen Menschen das Leben retten. Blut spenden ist wichtig. Dass ich mich kurz unwohl fühle überhaupt nicht.
Die Rotkreuzmitarbeiter, viele davon Ehrenamtliche des DRK in Geislingen, machen es den Spendern leicht. An jeder Station bin ich freundlich begrüßt worden. Die Leute freuen sich, dass ich da bin. Auch die Helferin an meiner Liege strahlt mich herzlich an. Das ist ansteckend – ich spüre erleichtert, wie ich ruhiger werde.
Zwölf Minuten geben sie mir, bis der Beutel vollgelaufen sein muss. Danach ist Schluss – wer länger braucht, bei dem wird die Spende aus Gesundheitsgründen abgebrochen. Das ist meine größte Sorge: Ich habe es so weit geschafft, jetzt will ich das Ding vollkriegen. Den meisten Spendern reichen fünf, sechs Minuten. Mein Körper gibt sein Blut eher zögerlich her. Nach fünf Minuten fängt die Maschine neben mir an zu piepsen. Charlotte Gutknecht steht sofort neben mir. „Sie sind zu langsam. Pumpen Sie mal mit dem Ball.“ Brav bewege ich die Finger. Es hilft: Das Piepsen hört auf, das Blut läuft rascher.
Nach 9 Minuten und 20 Sekunden tritt Charlotte Gutknecht wieder an meine Liege: „Das war’s. Wir sind fertig“, sagt sie und lächelt mich an. Ich grinse zurück. Geschafft! Ich habe Blut gespendet und fühle mich gut. Kurz ruhe ich mich nebenan aus, dann zieht es mich ins Foyer: Dort warten zur Belohnung Maultaschen auf mich. Lecker!