· GZ 2022

Ringen um ein Menschenrecht

Vom Verlust der Wohnung sind immer mehr Menschen betroffen. Die Freien Wohlfahrtsverbände haben Forderungen formuliert.

Die Pandemie hat Profiteure. Die Reichsten der Reichen wurden noch reicher. Das hat jetzt eine Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam verdeutlicht. Die Zeche zahlen nicht nur Menschen am unteren Ende der Einkommensskala. Immer öfter ist die Mittelschicht betroffen – bei der Suche nach einer Wohnung.

Das wissen die Mitarbeitenden der Freien Wohlfahrtsverbände, egal, in welchem Bereich sie sich engagieren. In nahezu jedem Beratungsgespräch geht es auch um das Thema Wohnen, ob in der Familien-, der Schwangeren- oder Suchtberatung. Arbeiterwohlfahrt (Awo), Caritas, DRK, Diakonie und Paritätischer sind in der „Liga“ zusammengeschlossen und machen jetzt gemeinsam einmal mehr auf ein Problem aufmerksam, von dem nicht nur Wohnsitzlose oder Hartz-IV-Empfänger betroffen sind.

Bezahlbare Wohnungen fehlen
Alleinerziehende, Familien, Studenten oder alte Menschen finden immer öfter keine bezahlbare Wohnung. Bei einem Fachtag der Liga vor drei Jahren war die Problematik bereits eingehend mit Experten diskutiert worden. „Seither hat sich nicht viel getan. Bislang ergreift niemand sichtbar die Initiative, um Abhilfe zu schaffen“, bedauert Sascha Lutz, derzeit Vorsitzender der Liga im Kreis. Wer eh schon wenig Geld zur Verfügung habe und davon deutlich mehr als die Hälfte für Wohnen ausgibt – bei pandemiebedingter Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit wird es da schnell eng und es droht nicht selten der Verlust der Wohnung.

„Wohnen ist ein Menschenrecht“, betonte Sonja Elser, die Geschäftsführerin der Awo. Sie fordert die Kommunen auf, für ihre Menschen im Rahmen der Daseinsvorsorge Wohnraum zu schaffen, auf eigenen Grundstücken und im Zuge der Nachverdichtung.

Zudem müsse die Bindung bestehender Sozialwohnungen erhalten bleiben. Tatsächlich wird ihre Zahl aber in den kommenden Jahren im Land um fast 20 000 sinken. „Das widerspricht allen Forderungen“, so Lutz. Er lenkte den Fokus gemeinsam mit Wolfgang Baumung vom Verein Haus Linde auf die, die bereits konkret oder bald von Wohnungslosigkeit betroffen sind oder sein werden. Und er fordert den Landkreis auf, das Fachstellenkonzept zu finanzieren, wenn von der EU keine Gelder kommen.

Nicht nur aus sozialer Sicht sei die Begleitung dieser Menschen dringend erforderlich. „Der Erhalt von Wohnraum spart den Kommunen viel Geld“, so Baumung. Denn: „Viele Probleme entstehen erst mit der Wohnungslosigkeit.“

Eine weitere Forderung der Liga-Vertreter ist: Kommunale Wohnungspolitik dürfe sich nicht am Gewinn orientieren. Sie fordern „ein Belegrecht für Sozialleistungsträger bei Sozialwohnungen“. Nur so könne gewährleistet werden, dass diejenigen, die sonst durch jedes Raster fallen, überhaupt eine Chance auf einen angemessenen Wohnraum haben.

Problem Schufa-Eintrag
Es müsse auch genauer betrachtet werden, weshalb jemand einen Eintrag bei der Schufa hat. „Oft ist er nicht selbst verschuldet“, so Sascha Lutz, führe aber gleichwohl dazu, dass diese Menschen sich bei Wohnungsbaugesellschaften erst gar nicht um eine Wohnung bewerben brauchen.

Alle Experten der Runde sind sich einig: Das Problem wird an Brisanz zunehmen. Denn: „Die Mittelschichtswelle wird kommen“, weiß Lisa Kappes-Sassano (Caritas). Mit weitreichenden Folgen. Entscheide doch der familiäre Hintergrund über die Bildungs-Chancen eines Kindes. Ohne entsprechendes Obdach werden sich die weiter verschlechtern – und in Göppingen das Problem der Kinderarmut weiter zunehmen.

Wie wird man der Wohnungsnot Herr?
Wohnungsnot
Haben wir einen Wohnungsmangel oder eine Wohnungsnot – als eine der Ursachen gilt jedenfalls, dass der soziale Wohnungsbau schon vor 30 Jahren weitgehend zum Erliegen gekommen sei. So stellt das die Enzyklopädie Wikipedia fest.

Baukosten Die Baukosten sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Das weiß und beklagt man in Gemeinden, die Baugebiete ausweisen. Vorschriften für energiesparende Bauweise tragen dazu bei.

Bauland Bauland ist knapp – auch wenn der Gesetzgeber in den Vorjahren Baugebiete ohne große Voraussetzungen ermöglicht hat, um die Wohnungsnot zu bekämpfen. Gleichzeitig tut sich innerorts einiges, sei es an Baulücken oder bei der Umwandlung von Altbauten.